Elegie für junge Liebenden

geschrieben von: Regine Müller / Opernwelt / Seite 42 / Juni 2010

Ein Leben für die Kunst
Essen: Henze: Elegie für junge Liebende
Eine Werkschau zu Lebzeiten ist nur wenigen Künstlern vergönnt. Erst recht unter den Komponisten ist diese Ehre, die dem 84-jährigen Hans Werner Henze nun widerfährt, eine  Ausnahme. Genau diese Ausnahme aber ereignet sich derzeit unter der poppigen Bekenntnisformel «I love henze» im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres mit dem «henze-projekt – neue musik für eine metropole». Über 40 Kulturinstitutionen des Ruhrgebiets beleuchten von Januar bis Dezember 2010 nicht nur Henzes vielfältiges musikalisches Werk, sondern das ganze Spektrum seiner Aktivitäten als Schriftsteller, Festivalgründer und Musikvermittler. Als erste Opernpremiere ist nun seine «Elegie für junge Liebende» in Essen herausgekommen.

Nur 24 Musiker verlangt die Orchesterbesetzung seiner bald 50 Jahre alten Partitur, die mit Zitaten und Parodien durchsetzt ist und über weite Strecken einen eleganten Konversationston anschlägt. Die Instrumente treten in solistischer Plastizität hervor, begleiten die Stimmen sparsam und luftig. Erst nach der Pause verdichtet sich die Klangsprache stellenweise zu drängenden Orchesterzwischenspielen, die Noam Zur im Essener Graben nach anfangs etwas pauschalem Musizieren souverän zuzuspitzen weiß.

Henzes gepflegter Schönklang gilt der seltsamen Geschichte um den Dichterfürsten Gregor Mittenhofer, der im Berggasthof «Schwarzer Adler» samt einer skurrilen Entourage residiert und mit allen Mitteln um seine ach so hohe Kunst ringt. Ein klassisches Künstler-Sujet, in dem es um die Ausbeutung des Lebens zum Besten der Kunst geht, um Grenzen, die dabei überschritten werden, und um die Opfer, die das Genie seiner Umwelt abverlangt. In halb selbstironischer, halb nostalgischer Manier lässt Henze den Typus des heroischen Künstlergenies aufleben, denunziert und feiert ihn zugleich. Zufall, dass Claudio Otelli in der Rolle des Dichters mit seinem kahl geschorenen Schädel an Henze erinnert?

Regisseurin Karoline Gruber verrückt die Künstleroper in die surreale Szenerie einer dekonstruierten Idylle. Roy Spahn hat ihr eine zugerümpelte Bühne gebaut, auf der ein riesiges Uhrpendel an das Verrinnen der Zeit gemahnt und ein Pappadler bedrohlich schief an einem Holzbalken hängt. Je mehr der Künstler sich in seine Besessenheit steigert, desto tierhafter wird der Rest: Der Leibarzt humpelt mit Hühnerfuß umher, der Gräfin wachsen Raubtierklauen, Toni hat Schwanenflügel, und die Witwe wird zum blauen Schmetterling. Am Schluss bleibt der Dichter allein  mit einem leuchtenden Riesenei und bringt seine nun vollendete «Elegie» als textlose Vokalise zu Gehör, während um ihn herum Leichen baumeln.

Karoline Gruber findet starke, bisweilen plakative Bilder, die Henzes artifizielles Musiktheater ironisieren. Großartig neben dem differenziert spielenden Kammerorchester ist die Sängerriege besetzt, angeführt von der sensationellen Astrid Kropp-Menéndez als Koloraturen schleudernde Wahn-Witwe, gefolgt von Claudio Otellis sonor präsentem Dichterfürsten und Andreas Hermanns höhensicher strahlendem Toni. Ildiko Szönyi bändigt als Gräfin ihren sonst oft heftig ausschlagenden Mezzo zu kultivierter Präzision, Francisca Devos verleiht des Dichters Geliebter




Elegie für junge Liebenden

geschrieben von : Chr. Schulte im Walde/ Borkener Zeitung /26.04.2010

Im riesigen Vogelkäfig gefangen
Regisseurin Karoline Gruber liefert eine durch und durch stimmige Interpretation von großer Geschlossenheit und nie nachlassender Intensität. Roy Spahns Bühne unterstreicht die hermetische Situation und baut einen gigantischen Vogelkäfig! Aus dem gibt es kein Entrinnen, so sehr man auch will. Die Protagonisten bleiben gefangene Vögel, mehr noch: Sie mutieren zu Hahn und Krähe. Nur die zu Verstand gekommene Hilda Mack bekommt Schmetterlingsflügel. Vergebens. Auch für sie bleibt der Käfig ein Gefängnis. [...]Henzes Musik ist geprägt von großer Sinnlichkeit, viel Gespür für den dramatischen Augenblick - er ist ein virtuoser Klangmagier, dem die Essener Philharmoniker unter Leitung von Noam Zur nichts schuldig bleiben. Grandios die sechs Solisten: Astrid Kropp-Menéndez (Hilda Mack) mit atemberaubenden Koloraturen, Andreas Herrmann (Toni), der seinen Tenor mit unfehlbarer Sicherheit im Griff hat und in höchste Höhen schraubt. Ildiko Szönyi ist eine differenziert auftretende Gräfin von Kirchstetten, Francisca Devos eine Dichtergeliebte mit silbrigem Sopran. Dem Leibarzt gibt Michael Haag überzeugende Statur, Claudio Otelli meistert die Titelpartie, nicht ohne zum Schluss an seine Grenzen zu stoßen. [...] Auch wenn Hans Werner Henzes „Elegie“ durchaus harte Hör-Arbeit ist, diese Inszenierung in Essen sollte man erlebt haben.



Elegie für junge Liebenden

Geschrieben von : Martin Schrahn/ WAZ/ 25.04.2010

Voller Wahn und Narretei
Essen. Ein packender Abend über Kunst und Moral: Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“ im Essener Aalto. Ein Fin-de-siècle-Spiel voller Wahn und Narreteien, das von Beginn an aus der Zeit gerückt scheint, sich morbide und am Ende über alle Maßen todessehnsüchtig gibt. Gregor Mittenhofer befiehlt, herrscht an, poltert, zürnt. Als Dichter, mithin als Genie, erwartet er von seiner Entourage bedingungslose Hingabe. Und doch: Der Künstler kann jovial sein, bitten und flehen, an sich und der Welt (ver-)zweifeln. Bis sie wieder vorherrscht: die alte, kalte, titanenhafte Wut. Ein letztes Aufbäumen, dem ein Stammeln folgt. Der Dichter – eine gescheiterte Existenz. Dieser Berserker, dessen Wandlungen und Häutungen auf ein quasi frühkindliches Stadium zulaufen, steht im Fokus von Hans Werner Henzes Oper „Elegie für junge Liebende“. Im Aalto-Theater erfuhr sie nun ihre Essener Erstaufführung – als Fin-de-siècle-Spiel voller Wahn und Narreteien, das von Beginn an aus der Zeit gerückt scheint, sich morbide und am Ende über alle Maßen todessehnsüchtig gibt. Regisseurin Caroline Gruber gelingt hiermit zwar kein Psychothriller, aber sie arbeitet mit enormer Feinzeichnung. Ihre Idee, die Protagonisten als gefiederte Wesen auftreten zu lassen, mag sich aus einigen Textstellen ableiten lassen. Doch so viel Kaffeesatzleserei ist gar nicht vonnöten. Der Dichter etwa als eitler Pfau hat durchaus seine Berechtigung. Gruber vermeidet im Übrigen, trotz aller fortschreitenden seelischen und körperlichen Destruktion, jedes Karikieren. In dieser Inszenierung gleicht alles einer Geisterbeschwörung: Die Lebenden sind eigentlich schon die Toten.

Lebenslügen aufgedeckt
Henzes Oper, deren Libretto Wystan H. Auden und Chester Kallman verfassten (und die hier in deutscher Sprache erklingt), spielt in einem österreichischen Alpengasthof namens „Der schwarze Adler“. Ausstatter Roy Spahn hat symbolmächtig eine riesige Kuckucksuhr auf die Bühne gewuchtet, oben begrenzt ein mächtiger Baumstamm den Raum, unten Schlingpflanzen und ein bisschen Interieur. Hier herrscht Gregor Mittenhofer (Claudio Otelli), hier dienen ihm der Arzt Reischmann (Michael Haag), eine gräfliche Mäzenin und Sekretärin (Ildiko Szönyi) sowie die Muse Elisabeth (Francisca Devos). Vor allem aber ist da die wahnsinnige Hilda Mack (Astrid Kropp-Menéndez), die einst ihren Bräutigam an den Berg verlor und deren Visionen dem Poeten künstlerische Nahrung sind. Die Regie zeigt, wie diese Verflechtungen zu Bruch gehen. Lebenslügen werden aufgedeckt, mit dem Sohn des Arztes (Andreas Hermann) und seiner aufkeimenden Liebe zu Elisabeth finden Licht und Luft ihren Raum im düster-staubigen Gasthofambiente. Der Rest ist Tragik: Der Dichter gibt das junge Paar frei, es soll ihm vom Berg ein Edelweiß holen. Sie kehren nicht wieder. Der Tod ist Stoff für des Dichters Elegie.

Motorische Musik
Henzes glasklare, teils wuchtige, teils zärtliche, tänzerische und stark motorische Musik wird von den Essener Philharmonikern unter Noam Zur wunderbar ausgeleuchtet. Und jeder im Ensemble gibt sich schönster Charakterisierungskunst hin. Ein packender Abend über Kunst und Moral, Behauptung und Zerfall.



Elegie für junge Liebenden

geschrieben von : G.M./www.operagazet.be/ (Gepubliceerd op 04.05.2010)

Opera van Hans Werner Henze op een libretto van W.H. Auden en Chester Kalman. Duitse vertaling van Ludwig Landgraf. Gecreëerd door de Bayerische Staatsoper in het Rokoko-Theater te Schwetzingen op 20 mei 1961. Première van deze productie in het Aalto Theater te Essen op 24 april 2010. Bijgewoonde voorstelling op 2 mei 2010. De hoofdpersoon van “Elegie für junge Liebende”, een rol die in 1961 gezongen werd door niet minder dan Dietrich Fischer-Dieskau, is de oudere, ziekelijk met zichzelf ingenomen dichter Gregor Mittenhofer die van zijn omgeving slechts lofuitingen verwacht en zijn intrek neemt in een Oostenrijks “Alpengasthof”. Hij is vergezeld van de rijke gravin Caroline von Kirchstätten, zijn secretaresse, zijn jonge minnares Elisabeth Zimmer, dokter Wilhelm Reischmann en diens jonge zoon Toni, de enige die niet deelt in de algemene bewondering voor de dichter. Een personage dat niets met dit gezelschap te maken heeft, maar de ganse opera de handeling blijft doorkruisen, is de wat hysterische eigenares van het gasthof Hilda Mack, die sinds veertig jaar op de terugkomst van haar echtgenoot wacht. Deze is kort na haar huwelijk in de bergen verdwenen. Elisabeth en Toni worden op elkaar verliefd en als Gregor daar van in kennis gesteld wordt door zijn secretaresse veinst hij een zekere blijmoedigheid. Als dank voor zijn zelfverloochening, verlangt de dichter van Toni en Elisabeth slechts een symbolische daad: zij zullen een edelweiss op de hellingen van de Hammerhorn plukken. Door het verzwijgen van het aangekondigde noodweer is hij indirect schuldig aan het omkomen van het jonge paar. Voor de dichter is dit slechts de aanleiding om een nieuw werk te schrijven: “Elegie für junge Liebende”. Henze gebruikte voor dit werk een kamerorkest, waarin xylofoon, vibrafoon, klokken en celesta een belangrijke rol spelen naast de obligate strijkers en blazers. Door de muziek heen speelt een bandopname van piano- en elektronische klanken. Deze opera is beslist niet het sterkste opus van Henze. Melodieën zijn er amper in waar te nemen en echt pakkende, lyrische momenten zijn bijzonder schaars. Bovendien werd de voorstelling in Essen geteisterd door een idiote enscenering. Het feit dat het gasthof de naam “Der schwarze Adler” draagt, dat Mittenhofer bij zijn ontbijt twee gekookte eitjes eet en hij in zijn dichtbundels vogeltjes en vlindertjes vermeldt, was voor regisseur Karoline Gruber voldoende om de scène te sieren met enkele reusachtige eieren en vogels. Zij dreef de symboliek nog verder door. Gedurende het verloop van de opera liet zij al de personages een metamorfose ondergaan. Reischmann, bijvoorbeeld, ziet er in de eerste acte uit alsof hij naar de kapper van Heinrich Himmler geweest is. Daarna krijgt hij een hanenkam op zijn hoofd en een hanenpoot. (zie eerste en tweede foto's). Zo ging het ook met de andere personages: plots stonden zij daar met vleugels van vogels of vlinders. Slechte karakters kregen geen vleugels maar klauwen. Mittenhofer zag er zelfs even uit als Edward Scissorhands. Een bijzonder mooie kostumering die helaas niets met het gegeven te maken heeft en een onjuiste sfeer creëerde. Ondanks al die nutteloze poespas werd er tamelijk mooi gezongen. De gezalfde baritonstem van Claudio Otelli was juist geschikt voor de rol van de dichter en door de boventiteling aandachtig te volgen in plaats van de uitbeelding op de scène, konden wij ook soms in het personage geloven. Onze landgenote Francisca Devos was een voorbeeldige Elisabeth. Haar heldere, lyrische sopraanstem contrasteerde mooi met het wat genepen tenorgeluid van Andreas Hermann als Toni. Minder opgetogen waren wij over de onstabiele en weinig welluidende mezzosopraanstem van Ildoko Szönyi in de rol van de secretaresse. Astrid Kropp-Menéndez moest opboksen tegen de onmenselijk hoge tessituur van Hilda Mack. Het roept bewondering op dat zij al die muzikale valstrikken wist te overbruggen, maar écht mooi klonk het niet. De bas Michael Haag was verdienstelijk zonder meer als Dr. Reischmann. Revelatie van de avond was de jonge Israëlische dirigent Noam Zur die de Essener Philharmoniker probleemloos door de complexe partituur loodste. Hij wist in het orkest een sterke innerlijke spanning op te bouwen die vooral in de tussenspelen tot haar recht kwam.



Elegie für junge Liebenden

Geschrieben von : Christoph Schulte im Walde/ www. Opernnetz.de

Der Dichter, ein tyrannischer Egomane
Hans Werner Henze als Meister der Oper - derzeit erfahrbar im Rahmen der großen Henze-Werkschau in der Kulturhauptstadt. Jüngstes Projekt: die Elegie für junge Liebende im Essener Aalto-Theater. Ein fast fünfzig Jahre altes Stück zu einem ewig virulenten Thema: was ist die Kunst, wo liegen ihre Quellen, welche Opfer fordert sie. Gregor Mittenhofer, der egozentrische Dichter steht im Mittelpunkt, umgeben von fünf subalternen Gestalten. Sie garantieren ihm einen völlig schematisch verlaufenden „Alltag“ – einen Mikrokosmos ganz auf ihn und seine Dichtkunst ausgerichtet. Das System gerät jedoch ins Wanken, als Hilda Mack, Mittenhofers wichtigste Inspirationsquelle, aus ihrem Wahnsinn erwacht: die Leiche ihres in den Bergen umgekommenen Mannes wird nach vierzig Jahren entdeckt. Elisabeth, das sexuelle Lustobjekt des Dichters, verliert dieser an den jungen Toni, den Sohn seines Leibarztes Reischmann. Vordergründig generös entlässt Mittenhofer die Liebenden in die Freiheit, genau kalkulierend, dass sie beim bevorstehenden Schneesturm ihr Leben lassen werden. Das ist ihm – reichlich brutal – wiederum Inspiration zu seiner großen Dichtung, der „Elegie für junge Liebende“. Regisseurin Karoline Gruber liefert eine durch und durch stimmige Interpretation von großer Geschlossenheit und nie nachlassender Intensität. Roy Spahns Einheitsbühne unterstreicht die hermetische Situation, denn er baut einen gigantischen Vogelkäfig mit Sitzstangen und überdimensionalen Futterschalen! Aus dem gibt es kein Entrinnen, so sehr man auch will. Die Protagonisten bleiben Gefangene, mehr noch: sie mutieren zu Vögeln. Die den Dichter anbetende Gräfin zur gefügigen Krähe, der Arzt zum kopfnickenden Gockel und der Meister selbst zum furchterregenden Geier. Nur die zu Verstand gekommene Hilda Mack bekommt Schmetterlingsflügel. Vergebens. Auch für sie bleibt der Käfig ein Gefängnis. Das ist insgesamt ein absolut passender Rahmen für die intellektuellen Auseinandersetzungen in diesem Werk, für die Gruber immer wieder schöne Bilder findet. Henzes Musik ist geprägt von großer Sinnlichkeit, viel Gespür für den dramatischen Augenblick – er ist ein virtuoser Klangmagier, dem die Essener Philharmoniker unter Leitung von Noam Zur nichts schuldig bleiben. Grandios die sechs Solisten: da ist Astrid Kropp-Menéndez (Hilda Mack) mit atemberaubenden Koloraturen, die sie von tiefsten Lagen in makellose Höhen führt; da ist Andreas Hermann (Toni), der seinen Tenor mit unfehlbarer Sicherheit im Griff hat und völlig unangestrengt in höchste Höhen schraubt. Ildiko Szönyi ist eine differenziert auftretende Gräfin von Kirchstetten mit gebieterischer Stimme, Francisca Devos eine Dichtergeliebte mit quecksilbrigem Sopran. Dem Leibarzt gibt Michael Haag überzeugende Statur, Claudio Otelli meistert die Titelpartie, nicht ohne zum Schluss an seine Grenzen zu stoßen. Zudem verlangt Henze ihm eine für einen Bariton unangenehme Tiefe ab. Die Elegie ist sicher ein hartes Stück Arbeit für die Rezipienten, aber gerade durch Grubers durchaus sinnlich-zarte Bilder auch ein echter Hingucker. Ein Teil des Essener Publikums war sich für diese Arbeit wohl zu schade und so blieben nach der Pause etliche Plätze leer. Doch die große, aufgeschlossene Mehrheit applaudierte begeistert.