Die Csárdásfürstin

Geschrieben von: Jan Ochalski/ www.deropernfreund.de

... und man vergisst sein Alter
Alle sind wir Falter, und man vergisst sein Alter... Auch die totgesagte Operette, die „ auf Abwege geratene Tochter der Oper“ (Saint-Saëns), scheint ihr Alter zu vergessen und hört sich frisch und jung an, wenn sie am Aalto-Theater Essen aufgeführt wird. Tausend kleine Engel singen...
Drei Tage nach dem Vorstellungsbesuch verfolgen mich die Ohrwürmer immer noch. Sobald der eine verstummt, kommt der nächste, und noch wieder einer, und wieder. Kaum zu ertragen. Jai Mamám, Bruderherz, ich kaufe mir die Welt...
Für die Menschen, die ihre runden Geburtstage jenseits von 50 hinter sich haben – und das ist ein großer Teil des Publikums bei der Wiederaufnahme von Kálmáns „Die Csárdásfürstin“ am Aalto-Theater – sind das alles bekannte Motive, auch wenn sie nicht unbedingt mit Kálmán und Csárdásfürstin assoziiert werden. Irgendwann irgendwo hat man sie gehört, im Radio, in der Werbung, in Parodien, Wunschkonzerten, entsetzlich entstellt in populären Musikantensendungen. Diese Musik hat einen hohen Wiedererkennungswert. Es sind Motive, die kleben bleiben. Die Melodieführung ist einfach, die Harmonie für einen Laien leicht nachvollziehbar, die Refrains prägen sich schnell ein. Dazu ein paar Schlagworte. Leicht zum Nach- und Mitsingen. Kaum hörbar summt das Publikum im Saal mit. Machen wir´s den Schwalben nach, baun wir uns ein Nest... Wenn es nicht die Erhabenheit des Opernhauses, sondern die gemütliche häusliche Sofaecke wäre, würden sie ohne Hemmungen laut loslegen.
Das Orchester unter der Leitung von Stefan Soltesz beweist die gleiche Perfektion wie bei Werken von Alban Berg, Puccini oder Strauss. Aber hier, bei Emmerich Kálmán, hört man deutlich auch das heraus, dass hier ein gebürtiger Ungar und später ein Wahlwiener vom Pult aus regiert. Das sitzt. Die Musiker spielen mit Freude, ja mit Humor. Und doch klingt in dieser Musik, in dieser Interpretation ein weit entferntes Echo der bitter-heiteren Dekadenz und Nostalgie der untergehenden k.u.k. Monarchie.
Michael Sturminger (Regie) hat die Handlung der Operette in die Zeit der Naziherrschaft verlegt. Die vom Fürstensohn und Wehrmachtsoffizier Edwin geliebte Silva Varescu ist nicht nur eine Varieté-Künstlerin, sie ist eine Jüdin. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass es sich – wie in der Originalfassung – um eine simpel gestrickte Geschichte einer Mesalliance mit happy end handelt. Nennen wir es Aschenputtel-Syndrom, sagt meine Nachbarin: Liebe zwischen Repräsentanten zweier nicht kompatiblen Gesellschaftsgruppen. Für die eine ist es der Reiz der verbotenen Früchte, für die andere ein Weg zum geträumten Glück? Möglich.
Interessant an der Inszenierung ist die szenisch gelungene Darstellung zweier Welten: Ein schummriges Budapester Varieté-Theater mit abblätterndem Glanz der ehemaligen Zweitmetropole, mit schrägen Menschentypen, die ihre Lage mit einer resignierten und dennoch heiteren Gelassenheit hinnehmen. Und an der anderen Seite der Wiener Salon mit Adligen, die weder richtige Mitläufer noch Nazi-Gegner sind. Es sind nur Marionetten in prunkvollen Kostümen. Ihre Welt ist eine Operette. Wenn nicht die Grausamkeit der Wirklichkeit wäre. Eine Parodie daraus zu machen ist schwer und riskant, der Schuss kann auch nach hinten losgehen. Wenn ein SS-Mann auf der Bühne (Mark Weigel als Eugen von Rohnsdorff) einen Witz über H. und Kálmán erzählt, verpufft die Wirkung. Das Publikum bleibt.




Die Csárdásfürstin

Geschrieben von: Christoph Schulte im Walde/ www.opernnetz.de

Ich kauf’ mir die Welt! - ?
Budapest 1940 – dorthin verortet Michael Sturminger und sein Regieteam Emmerich Kálmáns Csárdásfürstin. Statt zu Beginn des Ersten spielt die Operette nun im Zweiten Weltkrieg. Das ist eine überraschende Transponierung, aber eine, die durchaus funktioniert. Die im Werk thematisierten Gegensätze treten noch schärfer hervor. Mehr noch: die Diskussion um Adel und Bürgerlichkeit wird überboten, wird ausgeweitet auf eine gesellschaftliche Katastrophe, die das 20. Jahrhundert geprägt hat. Edwin Ronald ist der Sohn eines arischen Weltkriegsgenerals, der sich verliebt in Sylva Varescu, eine jüdische Diseuse. Sturminger spitzt damit die Handlung zu, taucht sie in ein anderes Licht und lenkt den Blick auf das schwärzeste Kapitel deutscher Geschichte. Arier und Juden – eine unmögliche Liebe. Eugen von Rohnsdorff ist Edwin Ronalds Cousin – aber nicht wohlmeinender Freund, sondern in seiner Funktion als Obersturmbannführer eine allgegenwärtige Bedrohung. (Die hat Emmerich Kálmán auch an eigenem Leib erfahren, worauf er nach Amerika ging.) Das mag dem einen oder der anderen ein wenig dick aufgetragen scheinen, aber Sturminger hält sein Konzept bis zum Schluss mit Konsequenz durch und präsentiert eine in sich geschlossene Inszenierung. Andreas Donhauser und Renate Martin bauen dazu ein echt plüschiges Variete-Theater mitten in Budapest und ein wirklich großbürgerliches Wiener Palais mit Ballsaal und Speisezimmer. Das ist ebenso durchdacht wie die Kostüme. Da rauschen klassische Ballkleider über die Bühne, aber zugleich wird aus den „Mädis vom Chantant“ eine freche Travestie-Truppe. Gekonnt auch die Nazi-Kostüme der Tänzerinnen – eine Mischung aus blonden BdM-Mädels und Sado-Maso-Girls in Lackleder. Hervorragend auch die Choreographie Craig Revel Horwoods. Sowohl die Tanzeinlagen im Variété als auch der Walzer, während dessen die Nazi-Chargen das ungleiche Liebespaar immer enger umkreisen, sind echte Hingucker. Dass bei dem Ohrwurm „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“ das Personal auf der Bühne den Stechschritt übt und das grauenhafte Recken des rechten Arms praktiziert, ist in dieser Inszenierung geradezu zwingend. Trotz aller zeitgeschichtlichen Elemente ist immer auch eine gute Portion Operettenseligkeit auf der Bühne zu erleben – und das soll ja auch sein. Das Ende allerdings wirkt dann doch etwas unecht: Sylva Varescu und Edwin Ronald kehren zurück in das geschlossene Budapester Variété, in dessen Keller sich Juden versteckt haben. Die Nazis spüren sie auf, werden jedoch von Freiheitskämpfern erschossen - und die alte Fürstin von und zu Lippert-Weylersheim ballert kräftig mit. Na klar ist das nicht real, aber gerade darum ein typischer Operettenschluss. Bea Robein ist die Csárdásfürstin - absolut bühnenpräsent, mit schönem, passendem Timbre, aber leider zu textunverständlich und mit geringfügigen Problemen in der hohen Lage. Das gilt auch für Peter Bording als Edwin. Er besticht jedoch durch die raumgreifende Mittellage seiner Stimme und sein tänzerisches Talent. Francisca Devos ist eine süße, stimmlich brillante Komtesse Stasi und Günter Kiefer ein veritabler Theaterbesitzer Feri Bácsi. Am meisten überzeugt jedoch unter den Solisten Albrecht Kludszuweit als Impresario Boni, der einfach sauber, genau und mit ebenmäßigem Tenor singt. Stets präsent in ihren Sprechrollen sind Ute Zehlen als Fürstin Anhilte und der extrem geforderte Mark Weigel als Nazi-Cherge von Rohnsdorff. Reinhard Brussmann strahlt als gutmütiger Fürst Leopold Ruhe und Gelassenheit aus. Den sängerischen Höhepunkt des Abends bieten sicherlich Robein, Kiefer und Kludszuweit mit ihrem von der „Zigeunerkapelle“ begleiteten Terzett: „Jaj Maman, Bruderherz, ich kauf’ mir die Welt“, das gerade vor dem inszenierten Hintergrund der SS-Bedrohung tief unter die Haut ging. Eine Klasse für sich – und dies zu sagen ist fast schon absolut liebgewonnene Routine- ist Alexander Eberles prächtiger Chor. Auch Lobeshymnen auf die Essener Philharmoniker und ihren Chef Stefan Soltesz sind beinahe an der Tagesordnung. Und dieses Mal gelingt es dem Klasseorchester, Kálmáns Musik von allem Schmalz zu befreien, jeglichen verkleisternden Zucker abzuwaschen und die Qualität der Partitur einer einst so verschrienen Gattung in all ihrer Vielfältigkeit und Farbigkeit klar herauszuarbeiten. Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“ wird in einer auf ungarisch gemachten, quasi mit viel Paprika gewürzten Version einmontiert – was zum Schmunzeln reizt. Wenn es heißt „Weißt du es noch“ – ein Walzer in Moll – kommen gar die Tränen vor echter Rührung. Alles in allem: So sieht ein überzeugendes Plädoyer für die Operette aus. Das Publikum im ausverkauften Haus nahm die Inszenierung an, ließ sich von „fremden“, unerwarteten „Zutaten“ nicht verstören und genoss einen nicht ganz alltäglichen Abend.